LG Mannheim, Urt. v. 19.02.2021 – 11 O 131/20 -

Es erschließt sich nicht mit der gebotenen Klarheit, welche Infektionskrankheiten vom Versicherungsschutz erfasst sein solllen (LG Mannheim, Urt. v. 19.02.2021 - 11 O 131/20 -).

Landgericht Mannheim

(11. Zivilkammer)

19.02.2021

– 11 O 131/20 -

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

...

für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.09.2020 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.06.2020 wirksam beendet wurde, sondern unverändert fortbesteht.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.954,46 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 09.09.2020 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 60.605,50 € festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Er betreibt unter der Firma (…) ein Restaurant in (…). Zwischen den Parteien besteht eine Betriebsschließungsversicherung. Versicherungsbeginn war ursprünglich der 15.03.2013, eine Neudeklaration erfolgte zum 15.03.2018 (Anlage K1), Versicherungsablauf ist der 01.01.2023. Laut dem Versicherungsschein sind bezüglich des Schließungsschadens eine Tagesentschädigung in Höhe von 2.000,00 € und eine maximale Haftung von 30 Schließungstagen vereinbart. Der Versicherung liegen die Versicherungsbedingungen der Beklagten (…) mit Stand 01.01.2009 zugrunde.

Diese lauten auszugsweise wie folgt:

„§ 1 Gegenstand der Versicherung

1. Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)

a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

b) (…)

2. Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:

a) Krankheiten

- Botulismus

- Cholera

- Diphtherie

- akute Virushepatitis

- enteropathisches härnolytisch-uramisches Syndrom (HOS)

- virusbedingtes hämorrhagisches Fieber

- Masern

- Meningokokken-Meningitis oder -Sepsis

- Milzbrand

- Poliomyelitis (als Verdacht gilt jede akute schlaffe Lähmung, außer wenn traumatisch bedingt)

- Pest

- Tollwut

- Tuberkulose

- Typhus abdominalis/Paratyphus

- mikrobiell bedingte Lebensmittelvergiftung

- akute infektiöse Gastroenteritis

- der Verdacht einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung

- die Verletzung eines Menschen durch ein tollwutkrankes, verdächtiges oder -ansteckungsverdächtiges Tier sowie die Berührung eines solchen Tieres oder Tierkörpers

b) Krankheitserreger

- Adenoviren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis im Konjunktivalabstrich);

- Bacillus anthracis

- Borrelia recurrentis

- Brucella sp.“

- Campylobacter sp., darmpathogen

- Chlamydia psittaci

- Clostridium botulinum oder Toxinnachweis

- Corynebacterium diphtheriae, Toxin bildend

- Coxiella burnetii

- Cryptosporidium parvum

- Ebolavirus

- Escherichia coli (enterohämorrhagische Stämme - -EHEC) und sonstige darmpathogene Stämme

- Francisella tularensis

- FSME-Virus

- Gelbfiebervirus

- Giardia lamblia

- Haemophilus influenzae (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor oder Blut)

- Hantaviren

- Hepatitis-A-,-C-, -D-, -E-Virus (Meldepflicht für Hepatitis-CVirus nur, soweit nicht bekannt ist, dass eine chronische Infektion vorlegt)

- Influenzaviren (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis)

- Lassavirus

- Legionella sp.

- Leptospira interrogans

- Listeria monocylogenes (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Blut, Liquor oder anderen normalerweise sterilen Substraten sowie aus Abstrichen von Neugeborenen)

- Marburgvirus

- Masernvirus

- Mycobacterium leprae

- Mycobacterium tuberculosis/africanum, Mycobacterium bovis (Meldepflicht für den direkten Erregernachweis sowie nachfolgend für das Ergebnis der Resistenzbestimmung; vorab auch für den Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum)

- Neisseria meningitidis (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Liquor, Blut, hämorrhagischen Hautinfiltraten oder anderen normalerweise sterilen Substraten)

- Norwalkähnliches Virus (Meldepflicht nur für den direkten Nachweis aus Stuhl)

- Poliovirus

- Rabiesvirus

- Rickettsia prowazekii

- Rotavirus

- Salmonella Paratyphi (Meldepflicht für alle direkten Nachweise)

- Salmonella Typhi (Meldepflicht für alle direkten Nachweise)

- Salmonella, sonstige

- Shigella sp.

- Trichinella spiralis

- Vibrio cholerae O 1 und O 139

- Yersinia enterocolitica. darmpathogen

- Yersinia pestis

- andere Erreger hämorrhagischer Fieber

- Treponema pallidum

- HIV

- Echinococcus sp.

- Plasmodium sp,

- Rubellavirus (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)

- Toxoplasma gondii (Meldepflicht nur bei konnatalen Infektionen)

§ 4 Ausschlüsse

4. Krankheiten und Krankheitserreger"

Nicht versichert sind Schäden infolge von Prionenerkrankungen (z.B. BSE) oder des Verdachtes hierauf.

Das Ordnungsamt (…) erließ am 23.03.2020 gemäß § 28 Abs. 1 IfSG eine Allgemeinverfügung (Anlage K 3), die folgende Regelung enthielt:

Folgende Einrichtungen dürfen nicht für den Publikumsverkehr geöffnet werden:

- Gaststättengewerbe aller Art; der Außer-Haus-Verkauf und die Auslieferung von Speisen bleiben zulässig; der Verzehr an Ort und Stelle ist untersagt,

(…)

7Der Kläger schloss seine Gaststätte am 23.03.2020 und öffnete sie am 18.05.2020 wieder. Er zeigte der Beklagten den Schadensfall an. Nachdem der Beklagten der Eintritt des Versicherungsfalls seitens des Klägers gemeldet wurde, lehnte sie mit Schreiben vom 17.4.2020 (Anlage BLD 3) ihre Eintrittspflicht ab. Die Beklagte bot dem Kläger mit gleichem Schriftsatz zur Abgeltung ihrer Ansprüche und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine abschließende Zahlung i.H.v. 15% der vereinbarten Tagesentschädigung an, wobei eine Annahmefrist bis zum 30.04.2020 gesetzt wurde.

Mit Anwaltsschriftsatz vom 15.06.2020 forderte der Kläger die Beklagte außergerichtlich zur Leistung der vertraglich vereinbarten Entschädigung in Höhe von 60.000,00 € auf. Mit Schreiben vom 08.06.2020, welches dem Kläger am 17.06.2020 zuging, sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche Kündigung mit einer Frist von einem Monat aus, da jener das Angebot der Beklagten nicht angenommen hatte.

Der Kläger behauptet, er habe vor der Schließung seine Gaststätte täglich von montags bis sonntags geöffnet. Er habe in seinem Betrieb im Jahr 2019 einen durchschnittlichen Tagesumsatz von (…) € erzielt. Die erst 2018 angepasste Taxe sei deshalb nicht zu beanstanden. Die Entwicklung kurz vor der Schließung könne nicht maßgebend sein. Der Kläger ist der Ansicht, die Schließung im Wege der Allgemeinverfügung aufgrund des SARS-Cov-2-Virus sei vom Versicherungsschutz umfasst. Die enumerative Aufzählung in den Versicherungsbedingungen sei lediglich beispielhaft zu verstehen. Im Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherung sei der Katalog bereits veraltet gewesen. Die Bezugnahme auf die §§ 6, 7 IfSG führe dazu, dass auch die in diesen Normen niedergelegten Generalklauseln umfasst würden. Die COVID-19 Krankheit sowie der Krankheitserreger SARS-CoV-2 seien von § 6 Abs. 1 Nr. 5 IfSG und § 7 Abs. 2 IfSG erfasst und daher namentlich zu melden. Mit Lücken im Versicherungsschutz müsse der Versicherungsnehmer nicht rechnen, wenn er nicht explizit darauf hingewiesen werde. Die Kündigung sei unwirksam, da sie nicht mehr innerhalb der in § 92 VVG vorgesehenen Frist erklärt worden sei.

Er beantragt,

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 60.000,- € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 08.06.2020 wirksam beendet wurde, sondern noch bis zum Ablauf des 01.01.2023 fortbesteht.

3. Die Beklagte wird darüber hinaus verurteilt, an den Kläger weitere 1.954,46 € nebst Zinsen i.H.v. % Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger seien für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ersichtlich abschließend. Auch durch den Verweis auf namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger ergebe sich nichts Anderes, da das neuartige Coronavirus erst nach dem Versicherungsfall in das IfSG aufgenommen wurde und namentlich ersichtlich adjektivisch und nicht im Sinne von „insbesondere“ verwendet werde. Sie bestreitet die Wirksamkeit der Allgemeinverfügung des Ordnungsamts Bremen. Diese nenne bereits nicht die tatsächlich einschlägige Ermächtigungsgrundlage und leide an weiteren gravierenden Mängeln wie dem Verstoß gegen das Zuständigkeitsgebot für solche umfangreichen Grundrechtseingriffe sowie dem Verstoß gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz, das Zitiergebot und das Bestimmtheitsgebot. Es habe auch nicht die zuständige Behörde gehandelt. Derartige abstraktgenerellen präventiven Gesundheitsmaßnahmen seien zudem nicht Gegenstand einer Betriebsschließungsversicherung, bei der es nur um betriebsinterne Gefahren gehen könne. Die Versicherung eines „shutdowns“ hätte nicht den Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss entsprochen. Ein solches Risiko sei auch nicht versicherbar oder kalkulierbar. Eine vollständige Schließung liege nicht vor. Da kein Betretungsverbot bestanden hat, hätten alle Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr durchgeführt werden können, ebenso der Außerhaus-Verkauf. Der Schaden des Klägers sei niedriger als die vereinbarte Taxe. Unter Zugrundelegung der vom Kläger genannten Zahlen ergebe sich bei Berücksichtigung der schon Anfang 2020 aufgrund der Pandemie eingebrochenen Umsätze ein tatsächlicher Tagesschaden in Höhe von lediglich (…) €. Zudem bestehe ein Anspruch aus § 56 IfSG und/oder § 65 IfSG, sei es in unmittelbarer Anwendung, sei es in analoger Anwendung, was der Kläger geltend machen und auf seinen Anspruch anrechnen lassen müsse. Die Frist zur Kündigung habe in dem vom Kläger vorgetragenen Zeitpunkt noch nicht zu laufen begonnen, da zwischen den Prozessbevollmächtigten noch weiterverhandelt worden sei. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien nach Maßgabe von § 85 Abs. 2 VVG nicht zu erstatten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

I. Die Klage ist auch bezüglich des Feststellungsantrags zu 2) zulässig. Ein Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO besteht, denn die Parteien streiten über das Bestehen eines konkreten Rechtsverhältnisses, den Fortbestand des Versicherungsvertrags nach der ausgesprochenen Kündigung.

II. Die Klage ist weit überwiegend begründet.

1. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 60.000,00 € als Entschädigungsleistung wegen der Betriebsschließung gemäß § 1 S. 1 VVG i.V.m. §§ 1 Nr. 1 a), Nr. 2, 11 Nr. 1 VB-BSV’09 zu.

Der Versicherungsfall ist eingetreten. Gemäß § 1 Nr. 1 a), 2 VB-BSV’09 leistet der Versicherer Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des IfSG beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern bei Menschen schließt.

a) Bei der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung handelt es sich um eine behördliche Maßnahme im Sinne der Versicherungsbedingungen.

Es hat die zuständige Behörde gehandelt. Das Ordnungsamt von Bremen war gemäß §§ 28 Abs. 1, S. 1, 54 IfSG i.V.m. § 4 Abs. 1 BremIfSZVO für den Erlass der Allgemeinverfügung vom 20.03.2020 zuständig.

Auf die Rechtmäßigkeit der behördlichen Anordnung kommt es nicht an (LG München I, r+s 2020, 686; Piontek COVuR 2020, 195; Prölss/Martin, AVB BS 2002 Allgemeine Bedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung) Rn. 5, beck-online). Im Wortlaut der Bedingungen ist diesbezüglich kein Hinweis vorhanden.

b) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Versicherungsumfang nicht auf Gefahren begrenzt, die innerhalb des versicherten Betriebes selbst entstehen. Zuzugeben ist der Beklagten insoweit zwar, dass die Klausel im Hinblick auf die weiteren aufgelisteten Beispiele wie Desinfektionsmaßnahmen auf konkrete aus dem versicherten Betrieb resultierende Gefahren zugeschnitten scheint. Allerdings ist insoweit der Wortlaut bei der behördlich angeordneten Betriebsschließung wiederum offen. Es genügt eine behördliche Anordnung auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes. Einschränkungen, dass es sich um einen konkreten Verwaltungsakt im Einzelfall handeln müsste oder dass die Gefahr in jedem Fall im Betrieb selbst ihren Ursprung haben müsse, finden sich im Wortlaut nicht. Daran vermag es auch nichts zu ändern, dass sich die Parteien einen derartigen Fall bei Abschluss der Versicherung nicht vorstellen konnten. Zwar hätte die Versicherung einen solchen Fall - wenn sie ihn bedacht hätte - möglicherweise in die Prämie eingepreist oder einen Risikoausschluss vereinbart. Allein, dass keine der Vertragsparteien mit derartigen Umständen rechnet, ist aber kein Grund die Klausel so auszulegen, dass sie zu Lasten des Versicherungsnehmers geht. Da in den Versicherungsbedingungen keine weiteren formellen Anforderungen an die behördliche Schließungsanordnung gestellt werden, ist das Erfordernis eines ausschließlich auf den Kläger bezogenen Verwaltungsaktes mit dem Wortlaut der streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht vereinbar (vgl. LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20).

c) Bei dem die Erkrankung COVID-19 auslösenden SARS-CoV-2-Virus handelt es sich nach Überzeugung des Gerichts um eine meldepflichtige Krankheit beziehungsweise einen Krankheitserreger gemäß § 1 Nr. 2 VB-BSV’09.

Maßstab für die Auslegung von Versicherungsbedingungen ist, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die jeweilige Klausel bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Zusammenhangs verstehen muss; ein individuelles Sonderwissen eines Versicherungsnehmers ist zu berücksichtigen, die Entstehungsgeschichte der Bedingung hingegen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2004, Az. IV ZR 130/03 = NJW 2004, 2589; BGH, Urteil vom 25.09.2002, Az. IV ZR 248/01 = NJW 2003, 139). Verbleibende Zweifel gehen nach § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders.

Aus Sicht des Gerichts ist die Formulierung in § 1 Nr. 2 „die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“ mehrdeutig im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB mit der Folge, dass sie nach Maßgabe des § 305c Abs. 2 BGB und der darin enthaltenen Unklarheitenregel zu Lasten des Versicherers als dynamische Klausel zu verstehen ist mit der Folge, dass das SARS-CoV-2-Virus von den Bedingungen umfasst wird (MüKoBGB/Basedow, 8. Aufl. 2019, BGB § 305c Rn. 41 ff.; vgl. LG Darmstadt Urt. v. 14.01.2021 - 28 O 130/20). Die streitgegenständliche Klausel verweist auf die in §§ 6 und 7 IfSG aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger. Diese Normen enthalten über deren Generalklauseln Öffnungsklauseln für noch nicht in den Normen mit Namen aufgelistete Krankheiten. Das hat zur Folge, dass auch das am 30.01.2020 im Wege der Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und § 7 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes temporär für meldepflichtig erklärte SARS-Cov2-Virus von dieser Verweisung zum Zeitpunkt der Schließung umfasst war.

Von einer mehrdeutigen Klausel kann nur ausgegangen werden, wenn mindestens zwei Auslegungen der Klausel rechtlich vertretbar sind (BGH, Urteil vom 26.09.2007, Az. IV ZR 252/06 = NJW-RR 2008, 189). Die Unklarheitenregel greift erst ein, wenn die Möglichkeiten der Auslegung erschöpft sind und objektive Mehrdeutigkeiten verbleiben. Dann aber ist die Bedeutungsmöglichkeit zugrunde zu legen, welche für den Vertragspartner am günstigsten ist (BeckOK/Bonin, BGB § 305c, Rn. 24).

Die Klausel in § 1 Nr. 2 VB-BSV’09 kann nun zum einen so verstanden werden, dass angesichts des verwendeten Worts „folgenden“ und des Hinweises auf namentlich genannte Krankheiten und Krankheitserreger eine Einschränkung auf die in den Bedingungen aufgeführten Krankheiten und Erreger vorliege (vgl. Rixecker, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 11 Rn. 58 f.; LG Oldenburg, r+s 2020, 627; LG Ravensburg Urt. v. 12.10.2020 - 6 O 190/20). Dafür spricht der Verweis in § 1 Nr. 2 auf die „folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger, denen sich eine enumerative Auflistung anschließt. Aufgrund dieser Formulierung kann die Aufzählung als abschließender Katalog verstanden werden.

Andererseits kommt aber auch bei der streitgegenständlichen Formulierung die Annahme einer dynamischen Verweisung auf das IfSG in Betracht (vgl. Fortmann, r+s 2020, 338), dergestalt, dass auf das IfSG inklusive der Öffnungsklauseln verwiesen wird. Im Wortlaut des § 1 Nr. 2 VB-BSV’09 ist insbesondere nicht deutlich herausgearbeitet, dass etwa „nur die folgenden“ Krankheiten und Krankheitserreger versichert sein sollen. Auch die Verwendung der Worte „namentlich genannt“ steht dem nicht entgegen. Für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer hat das Wort „namentlich“ zwei Bedeutungen. Es kann Verwendung finden als „insbesondere“ oder als „mit Namen genannt“. Da § 1 Nr. 2 der Bedingungen durch die im Anschluss an den Hinweis auf die namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger noch eine Auflistung vornimmt, ergeben sich für den Versicherungsnehmer verschiedene Deutungsmöglichkeiten. Er könnte davon ausgehen, dass nur die in den Bedingungen aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger versichert sind. Dann wäre aber der Verweis auf die §§ 6 und 7 IfSG überflüssig. Er könnte daher ebenso gut davon ausgehen, dass die Bedingungen grundsätzlich auf die §§ 6 und 7 IfSG Bezug nehmen und ergänzend noch eine beispielhafte Aufzählung vornehmen. Für ein solches Verständnis spricht auch die Regelung in § 4 Nr. 4 VB-BSV’09, in welchem ein Ausschluss für Prionenerkrankungen enthalten ist. Wenn der Versicherer sich zur Verwendung einer abgeschlossenen Aufzählung entschließt, hätte er es aber von vornherein in der Hand, dort keine Prionenerkrankungen aufzunehmen und bräuchte in der Folge diesen Ausschluss nicht. Hinzu kommt, dass die Verwendung des Wortes „namentlich“ dem Versicherungsnehmer, wenn er in die §§ 6 und 7 IfSG hineinschaut, noch in einem dritten Wortsinn begegnet, nämlich in Gestalt der Verpflichtung zur Meldung des Namens der infizierten Person (§ 9 IfSG). Auch das spricht gegen eine rein statische Verweisung.

Von den zwei Auslegungsvarianten ist die dynamische Verweisung die für den Versicherungsnehmer günstigere, da sie sämtliche Krankheiten und Krankheitserreger umfasst, auf welche Maßnahmen nach dem IfSG gestützt werden können.

Selbst wenn man eine statische Verweisung annehmen würde, wäre der § 1 Nr. 2 VB-BSV’09 aufgrund eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden. Die streitgegenständliche Klausel unterliegt der Inhaltskontrolle. Sie legt nicht die Hauptleistung fest, sondern ist eine Klausel, welche den in § 1 Nr. 1 aufgeführten Versicherungsschutz einschränkt.

Sie ist deshalb intransparent, da die Aufzählung in § 1 Nr. 2 b) VB-BSV’09 eine Vollständigkeit suggeriert, die nicht gegeben war. Es lässt sich erkennen, dass durch die Gesetzesänderung des IfSG 2013 das Mumpsvirus und das Varizella-Zoster-Virus in den Katalog der Krankheitserreger des IfSG aufgenommen wurde. Diese Krankheitserreger sind in dem Katalog der Krankheitserreger in den AVB der Beklagten hingegen nicht enthalten, und zwar auch nicht zum Zeitpunkt der Vertragsverlängerung beziehungsweise Neudeklaration 2018.

Es bestanden daher Versicherungslücken, die ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer nur dadurch entdeckt hätte, dass er die Versicherungsbedingungen Wort für Wort mit dem Gesetzestext abgleicht. Dies stellt jedoch eine unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB dar (so auch BGH, Urteil vom 27.01.2010, Az. IV ZR 50/09; LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20). Im Hinblick auf das Telos, den Wortlaut und den systematischen Zusammenhang der Klausel des § 1 Nr. 2 b) AVB weist diese den durchschnittlichen Versicherungsnehmer, auch in Anbetracht des maßgeblichen Personenkreises insbesondere der unternehmerischen Gastronomen, nicht mit der gebotenen und möglichen Klarheit darauf hin, dass der Umfang des Versicherungsschutzes gegenüber den in Bezug genommenen §§ 6 und 7 IfSG beschränkt ist.

d) Die Frage, ob die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen eine vollständige Schließung des versicherten Betriebs fordern, oder ob nach deren Wortlaut grundsätzlich auch eine teilweise oder faktische Schließung des Betriebs ausreicht, bedarf hier keiner Beantwortung, da der versicherte Betrieb jedenfalls vollständig geschlossen wurde. Der Kläger hat vorgetragen, dass er sein Restaurant an sieben Tagen die Woche geöffnet hatte und keinen Außer-Haus-Verkauf und Lieferservice angeboten hat. Dafür sprechen die Lage des Restaurants in der (…) und der dazugehörige Internetauftritt, der nach § 291 ZPO eine offenkundige Tatsache ist. Dort ist ausdrücklich aufgeführt, dass kein Außerhausverkauf und kein Lieferservice angeboten wird, was bei einem Speiserestaurant auch nicht ohne Weiteres üblich ist. Hinzu kommt, dass mit Schreiben vom 02.11.2020 auch der Steuerberater des Klägers bestätigt, dass in der klägerischen Gaststätte in der Zeit vom 18. März 2020 bis 22. Mai 2020 nach den ihm vorliegenden und gebuchten Unterlagen keine Außer-Haus-Verkäufe vorgenommen worden sind.

Aus der Anlage BLD 8 ergibt sich demgegenüber nichts, was einen Schluss auf einen Außer-Haus-Verkauf oder einen Lieferservice zuließe. In dem aufgeführten Artikel, nach dem der Kläger einen Nachfolger für sein Lokal suche, ergibt sich vielmehr, dass das Konzept auf Stammgästen und Restaurantbesuchen vor Ort basiert. Soweit eine Kritik auf Tripadvisor von einem Besuch im Mai 2020 spricht, kann es sich um einen „normalen“ Restaurantbesuch nach dem 18. Mai 2020 gehandelt haben.

e) Der Anspruch des Klägers ist auch der Höhe nach begründet. Der Kläger hat nach der in der Betriebsschließungsversicherung festgesetzten Tagesentschädigung in Verbindung mit § 11 Nr. 1 VB-BSV’09 einen Anspruch auf eine Entschädigung für 30 Tage in Höhe von jeweils 2.000 €, insgesamt mithin 60.000 €.

Gemäß § 11 Nr. 1 VB-BSV’09 ersetzt der Versicherer im Falle einer Schließung nach § 1 Nr. 1 den Schaden in Höhe der vereinbarten Tagesentschädigung für jeden Tag der Betriebsschließung bis zur vereinbarten Dauer.

Die klägerische Gaststätte (…) war in der Zeit vom 23.03.2020 bis 18.05.2020 vollständig geschlossen. Der maximale Haftzeitraum von 30 Tagen ist erreicht.

Bei der vereinbarten Tagesentschädigung handelt es sich um eine Taxe i.S.v. § 76 VVG (vgl. LG München I, COVuR 2020, 640 Rn. 101). Ein erhebliches Abweichen im Sinne von § 76 S. 2 VVG liegt nicht vor, sodass die Entschädigung nicht zu kürzen ist.

Eine Taxe ist als solche nicht unbedingt wörtlich zu bezeichnen. Es ist vielmehr ausreichend, wenn ein bestimmter Betrag nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen bestimmbar ist. Es muss zudem feststellbar sein, dass die Parteien den Versicherungswert übereinstimmend auf einen bestimmten oder bestimmbaren Betrag verbindlich festlegen wollen (LG Darmstadt, Urteil vom 14. Januar 2021 - 28 O 130/20). Die Vereinbarung einer Taxe zwischen den Prozessparteien ergibt sich eindeutig aus dem Inhalt des Versicherungsscheins (Anlage K1), wonach sowohl der Betrag als auch die Dauer des zu entschädigenden Versicherungsfalls fest bestimmt sind.

Gemäß § 76 S.2 VVG kann die vereinbarte Tagesentschädigung gemindert werden, wenn sie den wirklichen Versicherungswert erheblich übersteigt. Üblicherweise wird eine Differenz von 10% zwischen tatsächlicher Schadenshöhe und Höhe der vereinbarten taxmäßigen Entschädigungssumme als Anhaltspunkt für Erheblichkeit angenommen (vgl. Langheid/Rixecker/Langheid, 6. Aufl. 2019, VVG § 76 Rn. 2). Diese Differenz ist allerdings keine fixe Grenze. Entscheidend sind vielmehr Art und Zweck der Versicherung und der Grund der Vereinbarung der Taxe. Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Zweck des § 76 VVG zu berücksichtigen, der die Feststellung der Höhe des vom Versicherer zu leistenden Schadensersatzes erleichtern soll. Dieser Zweck würde gefährdet, wenn das Interesse der Parteien an der Verlässlichkeit der Vereinbarung einer Taxe außer Betracht bliebe. Diesem Zweck ist abwägend gegenüberzustellen, dass nach § 76 S. 2 Halbs. 2 VVG die Taxe erst dann nicht mehr gelten soll, wenn eine erhebliche Bereicherung des Versicherungsnehmers eintreten würde (BGH v. 04.04.2001 - IV ZR 138/00, VersR 2001; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 30. Aufl. 2018, § 76 Rn.12).

Aus dem Sinn und Zweck der vereinbarten Taxe folgt, dass die Umsatzzahlen in der Zeit unmittelbar vor der Anordnung der Schließung als Maßstab für eine erhebliche Abweichung von der Taxe nicht berücksichtigt werden können.

Würde man der Argumentation der Beklagten Folge leisten, wonach auf den Zeitraum unmittelbar vor der Betriebsschließung abzustellen wäre, wäre eine Taxe in den typischen Fällen einer Betriebsschließung aufgrund des IfSG wertlos. Denn auch bei innerbetrieblich aufgetretenen Infektionsquellen könnte der Betrieb des Versicherungsnehmers bereits vor einer vollständigen Schließung durch die zuständige Behörde einen Umsatzverlust erleiden, beispielsweise wegen einer notwendigen Betriebseinschränkung aufgrund der aufgetretenen Infektionsquelle. Für die Bewertung des hypothetischen Umsatzes des Klägers in der streitgegenständlichen Zeit ist eine hypothetische Betrachtung erforderlich, welches Betriebsergebnis der Kläger erzielt hätte, wenn in dem fraglichen Zeitraum nicht die Corona-Pandemie geherrscht hätte, die Anlass für die streitgegenständliche Betriebsschließungsversicherung war. Demgegenüber kann nicht darauf abgestellt werden, wie das Betriebsergebnis gewesen wäre, wenn es zwar die Corona-Pandemie, aber nicht die Betriebsschließungsanordnung gegeben hätte, weil bereits die Coronabedingte Pandemielage eine nicht hinwegzudenkende Grundlage der Schließungsanordnung ist. Die Argumentation der beklagten Seite konsequent zu Ende gedacht, wäre der Abschluss einer Betriebsschließungsversicherung de facto sinn- und wertlos (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20; LG Darmstadt, Urteil vom 14. Januar 2021 - 28 O 130/20). Denn dann müsste bei der Berechnung des Betriebsgewinns aufgrund eines Masernausbruchs innerhalb der Belegschaft auch gefragt werden, wie viel ohne Schließung, aber mit infizierten Mitarbeitern erwirtschaftet worden wäre.

Die zuletzt genannten Erwägungen sprechen auch gegen den von der Beklagten ins Feld geführten Bericht des Sachverständigen (…) vom 30.11.2020, der die Betriebsunterbrechungs- und Warenschäden des Klägers bewertet hat. Dass infolge einer behördlichen Schließung Kosten wie Wareneinkauf und sonstige variable Kosten für Heizung, Wasser und Strom nicht mehr in dem Umfang entstehen, wie sie bei einer Fortführung des Betriebes anfallen würden, ist bei einer Betriebsschließung für beide Vertragsparteien bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorhersehbar. Könnte die Beklagte hieraus ableiten, dass die vereinbarte Entschädigungssumme deswegen herabgesetzt werden könnte, würde dies die Betriebsschließungsversicherung in ihrem gesamten Konzept ad absurdum führen (so auch LG München I, Endurteil vom 01.10.2020, Az. 12 O 5895/20; LG Darmstadt, Urteil vom 14. Januar 2021 - 28 O 130/20).

Darüber hinaus kann die Beklagte keine Anpassung der vereinbarten Taxe verlangen, wenn sich die Parteien bereits zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wegen der Vielzahl der den Schaden bestimmenden Faktoren und der Unsicherheit ihres Eintritts im Einzelnen bewusst waren, dass sich der tatsächliche Schaden innerhalb einer beträchtlichen Schwankungsbreite bewegen wird. Hält sich der tatsächliche Schaden dann in diesem vorhersehbaren Rahmen, ist es nicht gerechtfertigt, den Anspruch des Versicherungsnehmers gemäß § 76 S. 2 VVG zu beschränken (so BGH, Urteil vom 04.04.2001, Az. IV ZR 138/00 = NJW 2001, 3539). Dies war vorliegend der Fall. Die vorgelegten Umsatzzahlen für das Jahr 2019 machen die - auch erst 2018 zwischen den Parteien vereinbarte Taxe plausibel.

f) Die Beklagte kann außerdem die vereinbarte Taxe nicht nach § 13 Nr. 1 VB-BSV '09 im Hinblick auf Schadensersatzansprüche aufgrund öffentlich-rechtlichen Entschädigungsrechte kürzen.

Schadensersatzansprüche im Sinne dieser Regelung liegen nur dann vor, wenn der Versicherungsnehmer sich unproblematisch beim Staat schadlos halten kann (Schreier, VersR 2020, 513).

Öffentlich-rechtliche Schadensersatzansprüche des Klägers - etwa Entschädigungsansprüche aus §§ 56 Abs. 1, 65 Abs. 1 IfSG, ein Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff - scheiden vorliegend aus (vgl. LG Darmstadt Urt. v. 14.1.2021 - 28 O 130/20). Die Tatbestandsvoraussetzungen sowohl von § 56 als auch von § 65 IfSG sind nicht gegeben. § 56 Abs. 1 IfSG regelt, dass, wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 S. 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet, eine Entschädigung in Geld erhält. Gemäß § 65 Abs. 1 IfSG ist eine Entschädigung in Geld zu leisten, soweit auf Grund einer Maßnahme nach den §§ 16 und 17 IfSG Gegenstände vernichtet, beschädigt oder in sonstiger Weise in ihrem Wert gemindert werden oder ein anderer nicht nur unwesentlicher Vermögensnachteil verursacht wird. Vorliegend war der Kläger nicht Träger von Krankheitserreger oder ein Ansteckungsverdächtiger. Dass Schäden durch Maßnahmen nach den §§ 16, 17 IfSG entstanden wären, ist nicht ersichtlich.

Ansprüche aus enteignendem oder enteignungsgleichem Eingriff greifen nicht, da es - jedenfalls in dem hier maßgeblichen 30-Tages-Zeitraum nach dem 23.03.2020 - an dem erforderlichen Sonderopfer des Klägers fehlt (vgl. LG Darmstadt Urt. v. 14.1.2021 - 28 O 130/20). Die Schließungsanordnungen in der streitgegenständlichen Rechtsverordnung trafen grundsätzlich alle Restaurants vom Zuschnitt des klägerischen Betriebs gleichermaßen, sodass keine Ungleichbehandlung, sondern eine Gleichbehandlung vorliegt, jedenfalls für den hier zu betrachtenden Haftzeitraum.

Zahlungen von öffentlich-rechtlichen Rechtsträgern, wie beispielsweise Liquiditätshilfen des Bundes oder Kurzarbeitergeld, sind nicht anrechenbar, da es sich nicht um Ansprüche des Klägers selbst handelt. Die kurzfristigen Liquiditätshilfen des Bundes wurden ausdrücklich ohne Rechtsanspruch im Rahmen der jeweils verfügbaren Haushaltsmittel gewährt. Der Anspruch auf Kurzarbeitergeld ist gemäß § 95 Nr. 1 SGB III ein Anspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, nicht jedoch des Arbeitgebers (vgl. LG Darmstadt Urt. v. 14.1.2021 - 28 O 130/20).

g) Der Kläger muss sich nicht nach § 82 Abs. 1 VVG entgegenhalten lassen, dass er den Schaden nicht verkleinert hat, indem er einen Lieferservice ins Leben gerufen oder einen Außerhausverkauf angeboten hat. Da dies zuvor nicht zu seinem Geschäftsmodell gehörte, war er nicht gezwungen, dies nach der Schließung aufzunehmen, zumal der schadensmindernde Erfolg nicht gesichert war. Es hätte einen organisatorischen Aufwand und Kosten verursacht, wobei aufgrund der Lage des Restaurants nicht mit einer großen Nachfrage zu rechnen war.

Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, dass er nicht um Rechtsschutz gegen die Allgemeinverfügung ersucht hat. In den Versicherungsbedingungen findet sich kein expliziter Hinweis darauf, dass es sich um eine rechtmäßige Schließung handeln müsste. Dies wäre für den Versicherungsnehmer, der sich mit der Anordnung einer Behörde konfrontiert sieht, auch unzumutbar, wenn er die Regelung nach öffentlich-rechtlichen Maßstäben prüfen und um Rechtsschutz ersuchen musste. Ob dies anders zu beurteilen ist, wenn es sich um eine nichtige Maßnahme handelt, bedarf keiner Entscheidung, denn eine auf der Hand liegende Nichtigkeit ist nicht gegeben.

Soweit die Beklagte anführt, dass mit § 28 IfSG eine unzutreffende Ermächtigungsgrundlage gewählt worden und das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG verletzt worden sei, liegen nach Auffassung des Gerichts keine offensichtlichen Verstöße gegen höherrangiges Recht vor.

§ 28 IfSG ist seinem Wortlaut nach als Ermächtigungsgrundlage jedenfalls nicht offensichtlich zu unbestimmt (so OVG Schleswig, Beschluss vom 09.04.2020, Az. 3 MR 4/20; VGH München, Beschluss vom 30.3.2020, Az. 20 NE 20.632 = NJW 2020,1236).

Der gerügte Verstoß gegen das Zitiergebot gemäß Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG kommt vorliegend ebenfalls nicht zum Tragen. Mit einem Verstoß gegen das Zitiergebot läge kein offensichtlicher Verstoß der streitgegenständlichen Allgemeinverfügung gegen höherrangiges Recht vor, der für den Kläger erkennbar war. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer dürfte die Klausel von § 1 Nr. 1 a) VB-BSV’09 überdies so verstehen, dass Versicherungsschutz dann bestehen soll, wenn die Behörde aufgrund des IfSG tatsächlich einschreitet und seinen Betrieb schließt (LG Darmstadt, Urteil vom 09. Dezember 2020 - 4 O 220/20 -, Rdnr. 78, juris). Dieses Risiko soll nach dem Willen der Vertragsparteien bei der gebotenen Auslegung nach § 157 BGB versichert sein. Dafür, dass der Versicherungsnehmer allein das Risiko eines unrechtmäßigen behördlichen Handelns tragen soll, sind keine Gründe ersichtlich. Darüber hinaus wäre es nach § 242 BGB in einem solchen Fall wenigstens erforderlich gewesen, dass die Beklagte den Kläger auf eine Nichtigkeit hinweist und ihm die Ergreifung rechtlicher Schritte nahelegt. Dass ein solcher Hinweis nach der Schadensmeldung vor der Klageerwiderung erfolgte, ist nicht ersichtlich.

2. Der geltend gemachte Zinsanspruch ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB begründet. Die Klage ist der Beklagten am 08.09.2020 zugestellt worden. Analog § 187 BGB beginnt die Verzinsungspflicht ab dem darauffolgenden Tag, dem 09.09.2020.

3. Der Feststellungsantrag hat in der Sache überwiegend Erfolg. Die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung am 08.06.2020, welche am 17.06.2020 zugegangen ist, konnte das Vertragsverhältnis nicht zum Erlöschen bringen. Sie ist nach § 92 Abs. 2 VVG verspätet und daher unwirksam.

Zwar ist die Kündigung aufgrund des Vorliegens des Versicherungsfalls nach § 92 Abs. 1 VVG grundsätzlich möglich gewesen. Die Kündigungserklärung muss indes binnen Monatsfrist seit dem Abschluss der Verhandlungen über die Entschädigung erfolgen. Das Ende der Verhandlungen ist erreicht, wenn entweder der Versicherer die Leistung erbringt oder den Anspruch anerkennt oder er eine endgültige Deckungsablehnung ausspricht oder die Verhandlungen nicht mehr fortgeführt werden und ein unbeteiligter Dritter sie als abgeschlossen ansehen würde (Langheid/Wandt Münchener Kommentar zum VVG, 2. Auflage 2016 § 92 Rn. 10-16). Das ist der Fall, wenn der nächste Schritt zur Fortsetzung der Verhandlungen nach Treu und Glauben zu erwarten gewesen wäre (BGH VersR 2009, 946 zu § 203 BGB).

Am 17.04.2020 hat die Beklagte ihre Eintrittspflicht abgelehnt und ein Vergleichsangebot aus Kulanz gemacht, wobei eine Annahmefrist bis zum 30.04.2020 gesetzt wurde. Spätestens bis zu diesem Tag hätte sich der Versicherungsnehmer, wenn er die Verhandlungen hätte fortsetzen wollen, sich melden müssen. Die Verhandlungen waren daher schon am 30.04.2020 abgeschlossen waren und die Beklagte durfte die Kündigung nur bis zum Ablauf des 01.06.2020 erklären.

Die Verhandlungen sind auch später nicht erneut aufgenommen worden. Dies ist nicht der Fall, wenn der Versicherer - wie hier - bei seiner ablehnenden Haltung bleibt und diese lediglich nochmals - wenn auch ausführlicher oder abweichend - begründet wird (Prölss/Martin/Armbrüster VVG § 92 Rn. 10; BeckOK VVG/Rust, 9. Ed. 9.11.2020, VVG § 92 Rn. 21).

Es kann jedoch keine Feststellung über den Schluss der mündlichen Verhandlung hinaus getroffen werden. Was in der Zukunft bis zum Beginn des Jahres 2023 Einfluss auf den Vertrag nehmen wird, ist derzeit nicht feststellbar. Insoweit war die Klage daher abzuweisen.

4. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung der klageweise geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren i.H.v. 1.954,46 € besteht gemäß §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1 BGB.

Der Verweis auf § 85 Abs. 2 VVG hilft hier nicht weiter, da der Kläger nicht die Erstattung von Rechtsanwaltskosten im Rahmen der Schadensermittlung begehrt, sondern einen Verzugsschaden geltend macht. Grundsätzlich fallen die Kosten, die durch eine Hinzuziehung von Anwälten entstanden sind, zwar unter den Ausschluss des § 85 Abs. 2 VVG (LG Hamburg VersR 1977, 365; AG Köln VersR 1977, 29). Allerdings bleibt der Verzugsschadensersatz von dieser Regelung unberührt (Prölss/Martin VVG, 31. Auflage, § 85, Rn. 10).

Die Beklagte wurde zwar erst mit dem Anwaltsschreiben der klägerischen Prozessvertreterin vom 15.06.2020 zur Leistung gemahnt. Eine Mahnung war indes entbehrlich, da die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 08.06.2020 die Leistung ernsthaft und endgültig i.S.v. § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB verweigert hat.

An das Vorliegen einer endgültigen Erfüllungsverweigerung sind im Hinblick auf den Zweck der Fristsetzung strenge Anforderungen zu stellen (BGH NJW-RR 1993, 139 [140]; NJW 1986, 661; KG ZGS 2007, 78). Der Schuldner muss die Erfüllung des Vertrages gegenüber dem Gläubiger unmissverständlich, endgültig und ernstlich ablehnen, sodass für den Gläubiger nicht mehr zweifelhaft sein darf, dass er unter keinen Umständen mehr mit einer freiwilligen Leistung rechnen kann (BeckOK BGB/Lorenz, 56. Ed., BGB § 281 Rn. 24). Zwar hat die Beklagte mit ihrem Schriftsatz vom 17.04.2020 die Auszahlung der Versicherungssumme abgelehnt. Nichtsdestotrotz war mit dieser Verweigerung auch ein Kulanzangebot verbunden, das als ein Indiz dafür anzusehen ist, dass die Beklagte noch nicht ihr „letztes Wort“ zu dieser Rechtsstreitigkeit geäußert hat.

Eine ernstliche und endgültige Erfüllungsverweigerung ist aber in dem Moment anzunehmen, als die Beklagte den Vertrag mit dem Schreiben vom 08.06.2020 gekündigt hat. (BGHZ 53, 150 [151] = NJW 1970, 467; BGH NJW 1987, 253). Bei näherer Betrachtung des Inhalts des Schreibens vom 08.06.2020 kann man feststellen, dass die Beklagte ausdrücklich ihre Eintrittspflicht abgelehnt hat und sich vom Vertrag mit dem Kläger lösen wollte.

Der Höhe nach belaufen sich die Kosten auf eine 1,3 Geschäftsgebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer aus dem Streitwert von 60.000,00 €. Eine entsprechende Rechnung ist dem Kläger gestellt worden (Anlage K3).

Der Zinsanspruch ergibt sich auch hier aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Kläger ist mit dem Feststellungsantrag zu einem kleinen Teil unterlegen, der keine Auswirkungen auf den Streitwert hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 S. 1, 2, ZPO.

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